Sonntag, 12.01.2025 - Das Dänen-Grauen von Grönland

 Verbrechen der Kolonial-Herren: 

Das Dänen-Grauen von Grönland

Bis weit in unsere Zeit hat sich Kopenhagen an den Inuit vergangen. Die Wunden sind nicht verheilt

Peter Tiede, Nuuk, Grönland

BILD - Sonntag, 12.01.2025

 War da was? Kolonial-Herrschaft? Kinder-Verschleppung? Zwangssterilisationen?

 Der grauhaarige Dänen-Tourist steht unter dem Denkmal für den Eroberer und Missionar Hans Egede in Nuuk, der Hauptstadt von Grönland. Dort, wo Donald Trump Junior ein paar Tage vorher Selfies schoss bei seinem Blitz-Besuch, der die Eroberung durch seinen Präsidenten-Vater ankündigen sollte.

 Der Touri-Däne knipst seine Frau mit ihrem Regenbogen-Rucksack unterm Eroberer-Denkmal und sagt nebenher über seine Landsleute, „die“ Grönländer: „Die müssen sich das einfach überlegen: Beim Ami zahlt ihnen niemand die Gesundheitsversorgung, den Alkoholentzug und die Stütze – wir schon.“

 Er macht dazu die Zahlemann-und-Söhne-Geste – und es ist klar, was er von „den Grönländern“, besonders den Inuit hält: Suffköppe, Stützeempfänger, am Tropf Kopenhagens hängend. Zu viele von ihnen jedenfalls.

 Es ist das, was die Grönländer so hassen an Dänemark, was sie seit Jahrzehnten nach Unabhängigkeit streben lässt: die herablassende Art. Die Ignoranz gegenüber ihrer Kultur. Die Brutalität. Allem, was im Namen von Kirche und Krone ihrem Ureinwohner-Volk angetan wurde, seit Hans Egede vor 303 Jahren begonnen hatte, sie für die Kronen Norwegens und Dänemarks zu christianisieren. Und sei es mit Gewalt. Das Eisland im Norden wurde Dänen-Kolonie.

 Immerhin das Vaterunser hatte er für die Inuit angepasst: „Unseren täglichen Seehund gib uns heute.“

 Das war es aber auch schon mit Nettigkeiten. Für die Inuit begann mit den Dänen-Christen ein Kampf ums Überleben ihres Volkes, ihrer Kultur, der weit in unsere Zeit reicht, und was Premierminister Mute Egede eine „Völkermord-Kampagne“ nennt.

Das war es aber auch schon mit Nettigkeiten. Für die Inuit begann mit den Dänen-Christen ein Kampf ums Überleben ihres Volkes, ihrer Kultur, der weit in unsere Zeit reicht, und was Premierminister Mute Egede eine „Völkermord-Kampagne“ nennt.

 Zwangssterilisation an 4500 Mädchen

Bis Ende der 1970er-Jahre wurden Mädchen zwangssterilisiert. Vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren wurde etwa jedem zweiten Mädchen und vielen Frauen der Inuit vom Arzt von Staats wegen eine Spirale eingesetzt. Ohne Wissen der Eltern. Ohne den Mädchen zu sagen, dass es nicht nur eine Untersuchung war. Unter Aufsicht der Schule. Um die Geburtenzahlen zu senken. Die Kolonial-Kinder waren dem Königreich Dänemark schlicht zu teuer.

 Naja Lyberth, eine Frauenrechtsaktivistin, war eine dieser 4500. Sie hat 2022 in einer Doku im Dänen-TV berichtet, wie es für sie war, nachdem sie und alle anderen Mädchen aus der Klasse 1976 vom Klassenlehrer in der Heimatgemeinde Maniitsoq zu einer Untersuchung geschickt worden sind:

 ▶︎ „Es fühlte sich an, als wären Messer in mir drin. Jedes Mal, wenn ich meine Periode hatte, hatte ich wahnsinnige Schmerzen.“

 ▶︎ „Es wurde auch gar nicht gefragt, ob wir das wollten oder nicht.“

 Den Herrschern in Kopenhagen war ihre Kolonial-Population im 3500 Kilometer entfernten Nuuk zu teuer geworden. Zu viele Kinder. Zu wenig Einnahmen. Die Kindersterblichkeit war gesunken. Kostentechnisch überlebten wohl zu viele. Verhütet wurde kaum. Kopenhagen nannte es ein „Familienplanungsprogramm“. Was sich dahinter verbirgt, erfuhren die Inuit erst, nachdem Grönland 1991 auch die Verantwortung für das Gesundheitswesen von Dänemark übernommen hatte.

 67 Frauen haben Dänemark wegen des „Spiralen-Falls“ verklagt. Seit 2023 lässt Dänemark den Fall offiziell untersuchen. Abschluss: wohl in diesem Jahr.

 Kinder-Verschleppung

Anfang der 1950er-Jahre hatte Dänemark beschlossen, aus den Robbenjägern und Fischern moderne Dänen zu machen. Die Sterblichkeit war hoch, Tuberkolose hatte sich ausgebreitet, Dänisch sprach kaum einer der Inuit, die einfach keine richtigen Dänen werden wollten.

Das Gegenmittel: Kinder, die als begabt galten, aus den Familien zu reißen, nach Dänemark zu verschiffen und umzuerziehen. Den Anfang machten Grundschüler im Alter von 6 bis 10 Jahren. Was herauskam, erinnert in Grundzügen an die Napola der Nazis in Deutschland – den nationalpolitischen Erziehungsanstalten. Schulleiter und Pfarrer waren aufgerufen, begabte Kinder zu melden. Die Kinderorganisation „Save the Children Denmark“ erstellte den Plan: Die Kinder sollten bei Pflegefamilien in Dänemark dänisiert werden.

 21 Familien gaben nach. Im Mai 1951 stach das Schiff „MS Disko“ mit 22 Kindern an Bord von Nuuk aus in See nach Dänemark. Darunter war Helene Thiesen. Ihr Vater war gerade an Tuberkulose gestorben, die Mutter mit drei Kindern allein. 2015 erzählte Thiesen (damals 77) der BBC ihre Geschichte, wie sie mit sieben Jahren nach Dänemark und erst in Quarantäne, dann in eine Familie kam: „Ich dachte ständig: ‚Was machen wir hier, und wann gehen wir nach Hause?‘ Ich vermisste meine Mutter, und ich trauerte um meinen toten Vater. Ich konnte nicht verstehen, warum ich so weit weggeschickt wurde.“

Eine Wochenzeitung berichtete: „Helene hat noch nie ein Wort zu ihren Pflegeeltern gesagt … und reagiert nur mit einem Nicken oder Kopfschütteln, wenn man sie anspricht. Aber sie plaudert gerne mit ihrer Pflegeschwester Marianne, die ihr das Stricken beibringt.“

Die kleine Helene kommt in zweite Familie, wo es besser wurde. Schließlich wird sie nach mehr als zwei Jahren wieder heimgebracht – 16 Kinder bleiben, von Dänen adoptiert zurück.

 Dann der Schock in der Heimat. Thiesen zur BBC:

 ▶︎ „Als das Schiff in Nuuk anlegte, schnappte ich mir meinen kleinen Koffer und eilte die Brücke hinunter in die Arme meiner Mutter. Und ich redete und redete über alles, was ich gesehen hatte. Aber sie antwortete nicht. Ich schaute verwirrt zu ihr auf. Nach einer Weile sagte sie etwas, aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagte. Kein einziges Wort. Ich dachte: ‚Das ist furchtbar. Ich kann nicht mehr mit meiner Mutter sprechen.’ Wir sprachen zwei verschiedene Sprachen.“ Helene sprach und verstand nur noch Dänisch.

 Und nach Hause durfte sie auch nicht: Die Kinder sollten zur neuen Insel-Elite werden. Das Dänische Rote Kreuz hatte ein Internat errichtet, damit die Kinder nicht unter „schlechteren Bedingungen“ bei ihren eigenen Familien leben müssen. So die offizielle Begründung. Sie musste direkt vom Hafen ins Kinderheim und durfte nicht Dänisch lernen.

Die Folgen für das Leben der Kinder: dramatisch. Viele landeten entwurzelt am Rande der Gesellschaft. Sie gehörten in keine der beiden Welten. Einige starben jung als Alkoholiker.

Thiesen hatte keine Beziehung mehr zu ihrer Mutter – zeitlebens: „Ich war sehr verbittert über ihre Entscheidung mich wegzuschicken. Ich war wirklich wütend, weil sie mich hatte gehen lassen, und nicht nur das – sie ließ mich im Kinderheim bleiben, obwohl wir in derselben Stadt wohnten.“

Depressionen plagten Helene Thiesen als Erwachsene. Dann ein Anruf. Sie ist 52 Jahre alt, als 1996 das Telefon klingelt. Eine Schriftstellerin aus Dänemark hat Dokumente gefunden: „Sie waren Teil eines Experiments.“

Thiesen in der BBC: „Ich setzte mich auf den Boden und weinte einfach …“

Ihr Fazit: „Die Kolonialherren waren ‚Herren’ im schlimmsten Sinne des Wortes: Sie kontrollierten alles, und einem Dänen konnte man nicht widersprechen. Man hinterfragte nicht einmal, was sie sagten.“

Im Mai 2022 entschuldigte sich Premierminister Mette Frederiksen bei den 21 Kindern und ihren Familien.

Doch noch immer pilgern die Dänen-Touristen zu ihrem Eroberer, der Statur von Hans Egede, dem Mann, mit dem 1721 alles begann.

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